Lange schon habe ich mich mit dem Thema beschäftigt und mir überlegt, wie ich es in diesen Blog einfließen lassen kann.
In Deutschland herrscht ja immer das Vorurteil, dass indische Frauen total unfrei und unterdrückt sind, und dass jede Frau die allein in Indien unterwegs ist, jederzeit damit rechnen muss, dass sich eine Horde indischer Männer auf sie stürzt um sie zu vergewaltigen, um es einmal überspitzt auszudrücken.
Dem entgegne ich immer, dass Indien ein Kontinent sei und man es in seiner Vielzahl der Sprachen, Kulturen und Menschen, durchaus mit Europa vergleichen kann. Niemand käme hier auf dem Gedanken Spanier mit Norwegern zu vergleichen, oder Bosnier mit Franzosen. So ist es auch in Indien. Ich las einmal vor langer Zeit, dass alles was man über Indien lesen kann, wahr ist, genauso wie das Gegenteil. Damit wird sehr gut auf dem Punkt gebracht, dass es den Inder per se nicht gibt und das Indien schon einmal gar nicht.
Es gibt also durchaus Frauen die in einer patriarchischen Gesellschaft unterdrückt werden. Genauso gibt es aber auch weibliche CEOs, viele gebildete Frauen und mit Indira Gandhi konnte Indien sogar die zweite Premierministerin der Welt aufweisen, lange bevor es in Deutschland oder den USA auch nur denkbar war, einer Frau die Führung des Staates anzuvertrauen.
In den letzten Tagen gab es mal wieder einige herausragende Fälle von Frauen die versuchen ihren Teil dazu beizutragen, dass sich die Lage für sie und andere verbessert.
Der erste Fall spielt in einem Vorort von Pune, im Bundestaat Maharashtra. Pune ist eine bekannte indische Großstadt mit vielen Expats, angesagten Cafés und Malls. Ein moderner Teil Indiens, oder so könnte man denken. In Pimpri, einem Vorort kam es letzte Woche zu einem Zwischenfall der eher ans Mittelalter erinnert.
Eine verheiratete Frau wollte den Garba-Tanz ihrer Gemeinde anlässlich des Navratri-Fests, mittanzen und wurde von den Altvorderen ihrer Gemeinschaft inklusive ihrer Eltern daran gehindert. Die Musik wurde abgeschaltet und ihr wurde nahegelegt die Tanzfläche zu verlassen. Erst als sie dies tat, wurde die Musik wieder angeschaltet und der Garba-Tanz ging weiter.
Der Hintergrund war wie folgend. Die junge Frau Aishwarya Vivek Tamaichikar, gehöhrt dem Kanjarbhat Stamm an. Dieser Stamm kommt ursprünglich aus Rajasthan und wurde von den Briten im 19ten Jahrhundert als „Criminal Tribe“ klassifiziert. Das waren vor allem Stämme die sich dem Pax Britania nicht beugen wollten und weiter ihrem ursprünglichem Lebensstil folgten. Ein Teil von ihnen waren Viehdiebe oder Dacoits (Räuber), aber viele von ihnen waren einfach nur unbequem weil sie sich weigerten Steuern zu zahlen, einen nomadisch Lebenstil pflegten oder auf Land siedelten, welches die Briten für ihre Zwecke nutzen wollten. Die Briten kriminalisierten diese Stämme und nahmen ihnen ihre Menschen- und Bürgerrechte. Erst mit der indischen Unabhängigkeit, wurden diese Stämme wieder rehabilitiert, wobei dies auch nur zögerlich geschah und sich die Angehörigen dieser Stämme noch lange einer sozialen Diskriminierung ausgesetzt sahen.
Seit der Unabhängigkeit siedeln viele Kanjarbhats in indischen Städten und Vorstädten Indiens, haben sich aber ihre Traditionen erhalten. Eine davon ist der sogenannte Jungfrauen Test. Wenn ein Kanjarbhat Paar heiratet (Ehen werden von den Eltern arrangiert), muss der frischgebackene Ehemann am Morgen nach der Hochzeitsnacht, dem Ältestenrat das Bettlaken präsentieren und beweisen, dass die Ehefrau jungfräulich in die Ehe gegangen ist. Besteht die Ehefrau den Test nicht, gilt die Ehe als ungültig.
Seit zwei Jahren formiert sich Widerstand gegen dieses Ritual. Junge Frauen und Männer aus der Gemeinschaft selbst, haben eine Gruppe mit Namen „Stop the V-Test“ gegründet. Sie versuchen mit medizinischen Fakten und Argumenten weitere Jungfrauen-Tests zu verhindern. Werden sie Zeugen solcher Tests, filmen sie mit und zeigen die Beteiligten im Anschuss bei der Polizei an. In Indien gilt das Recht auf Privatsphäre.
Dabei stoßen sie allerdings auf Widerstand. Sie werden nicht mehr auf Hochzeiten oder andere traditionelle Feste eingeladen und werden von den anderen Kanjarbhats geschnitten.
Auch Aishwarya hat sich geweigert den Jungfrauen-Test zu machen und wurde nun dafür bestraft. Sie hätte ihre Gemeinschaft schlecht gemacht, sie sei eine Nestbeschmutzerin, wurde ihr vorgeworfen.
Dagegen hat nun Aishwarya geklagt. In Maharashtra gilt seit 2016 der Social Boycott Prevention Act, ein Gesetz das den sozialen Boykott von Individuen durch Gruppen strafbar macht. Konkret sollen sogenannte Ältestenräte oder Kastenräte daran gehindert werden unliebsame Kastenangehörige von traditionellen Festen oder Zeremonien auszuschließen. Es soll die Freiheit des Individuums garantieren, eben auch die Freiheit sich seinen Ehepartner, seinen Beruf oder seine Kleidung selber auszusuchen ohne Repressionen fürchten zu müssen.
Die Strafen sind empfindlich, Verstöße werden mit bis zu 3 Jahren Gefängnis oder 100 000 INR Geldstrafe geahndet.
Gegen acht Personen wird nun ermittelt.
Aishwarya macht sich keine großen Hoffnungen, dass sich so schnell etwas ändern wird. Die Traditionen sind tief verwurzelt und selbst viele Frauen verteidigen den Jungfrauen Test. Viele sind stolz darauf ihn bestanden und ihrer Familie „Ehre“ gemacht zu haben. Sie verteidigen ihn als 400 Jahre alte Tradition und Teil ihrer Identität.
Das Wort des Ältestenrats hat Gewicht in der Gemeinschaft der Kanjarbhats. Das liegt auch daran, dass der Stamm über viele Jahrhunderte hinweg diskriminiert wurde. Das hat die Gemeinschaft zusammengeschweißt und sie misstrauisch anderen Instanzen und Institutionen gegenüber werden lassen.
Von daher setzt die Gruppe „Stop the V-Test“ auf Zeit und Bildung. Von 6 Mitgliedern ist die Gruppe auf gut 50 gewachsen und mehr und mehr junge Frauen sind heute besser ausgebildet und haben mehr Selbstvertrauen, sich gegen die Ansichten der Älteren zu stellen.
Der Zweite Fall spielt in Kerala, lange Indiens Musterbundestaat in Sachen Gleichberechtigung oder Bildung. Diesen stelle ich in Folge 2 vor.