Heute ist es wieder soweit, in Indien beginnen die Parlamentswahlen, die sich über die nächsten 5 Wochen hinziehen werden. In sieben Phasen wird gewählt und am 23.05. schließlich die Stimmen ausgezählt und das Ergebnis veröffentlicht.
Seit dem 26.02.1950 ist Indien eine parlamentarische Republik. An diesem Datum trat, in dem seit 1947 unabhängigen Indien, die neue Verfassung in Kraft. Und seitdem blieb das Land, bis auf eine kurze Ausnahme in den 80er Jahren (die Emergency in der Indira Gandhi für einige Monate mit Hilfe der Notstandsgesetze das Parlament entmachtete), eine Demokratie.
Alle 5 Jahre (wenn es nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommt), finden im ganzen Land Parlamentswahlen statt und der Aufwand ist gigantisch! Mehr als 300 Parteien die zur Wahl zugelassen sind, tausende Kandidaten die sich zur Wahl stellen und gegeneinander antreten und 834 Millionen Wahlberechtigte die, die insgesamt 543 Abgeordneten ins Parlament – die Lok Sabha- wählen.
Insgesamt wird es 834 999 Wahllokale geben, damit alle Wahlberechtigten auch abstimmen können. 10 Millionen Wahlhelfer sind dafür verantwortlich, dass die Wahlen fair und gerecht ablaufen werden.
Gewählt wird elektronisch mit Wahlmaschienen wie bereits seit vielen Jahren. Neben den Namen der Kandidaten und der Partei ist auch immer das Partei-Symbol zu sehen, so dass auch Analphabeten die Möglichkeit haben zur Wahl zu gehen.
Dass Wahlen in Indien auch immer viel mit Korruption zu tun haben (circa ein Drittel aller Kandidaten, hat ein Gerichtsverfahren gegen sich laufen) geschenkt. Die indische Demokratie ist nicht perfekt. Aber sie hat sich bewährt und heute sind die Menschen in Indien stolz auf ihr System, wohl das einzige welches es schafft, ein Land so divers und bunt wie Indien, zusammen zu halten. Laut einer Umfrage aus 2018 sind 79% der Menschen zufrieden mit ihrem politischen System.
Es wird in jedem Fall spannend. Die amtierende Regierungspartei BJP steckt in der Krise. Sie wollte sich messen lassen an geschaffenen Arbeitsplätzen und Wohlstand für alle. Davon hat sie wenig erreicht. Narendra Modi ließ sich als Reformer feiern, aber seine Reformen waren höchstens Reförmchen. Er reformierte und vereinheitlichte das Steuersystem und versuchte durch die Demonitarisierung Schwarzgeld zu bekämpfen und den elektronischen Geldverkehr zu stärken. Es waren gute Ansätze, aber es reichte nicht aus, im großen Stil neue Jobs zu schaffen und die Wirtschaft entscheidend zu stärken.
Also fiel er in alte Muster zurück und versucht nun über Wahlgeschenke Wählerstimmen zu gewinnen. Das wird den Steuerzahler viel Geld kosten und bringt ihm vermutlich keine Mehrheit wie noch 2014. Aber mit Hilfe geschickter Koalitionen könnte er sich an der Macht halten.
Die Kongress-Partei die 2014 nach 10 Jahren an der Regierung und zahlreichen Korruptionsskandalen, eine vernichtende Niederlage einfuhr, hat mit Rahul Gandhi einen neuen, jungen Vorsitzenden aus der Gandhi Familie.
Rahul Gandhi der früher als blass und unnahbar galt, hat sich mit Elan und Charisma in den Wahlkampf gestürzt. Das Herzstück seiner Kampagne ist sein Programm NYAY, dass den ärmsten 20% der Bevölkerung ein jährliches Mindesteinkommen von 72 000 INR verspricht. Nyay bedeutet Gerechtigkeit auf Hindi und somit wirbt der Kongress mit dem Slogan „Ab hoga nyay“ (Now there will be Justice).
Der Kongress hat die letzten Jahre in der Opposition genutzt, gegen Narendra Modi zu wettern. Gleichzeitig konnte er Wahlen in wichtigen Bundestaaten gewinnen. Die Stimmung hat sich vielerorts gedreht, gegen Modi und für Rahul Gandhi. Ob es am Ende reicht, wieder stärkste Partei zu werden, wird sich erst zeigen, wenn die Stimmen ausgezählt sind. In Indien spielen auch Faktoren wie Kaste, Identität und natürlich der direkte Kandidat der Wahlkreises, eine große Rolle.
Hier ist ein Gespräch mit einer indischen Bekannten bezeichnend. Sie meinte zu mir, als ich sie fragte, ob sie denn wisse wen sie wählen wolle. „I will ask my family whom we should vote for!“ Sie wird also den Kandidaten wählen von dem sich ihre Familie die meiste Vorteile verspricht.
Das ist kennzeichnend für die indische Demokratie: Familien, Clans und ganze Kasten, wählen geschlossen einen Kandidaten. Deshalb schauen die Parteien beim Aufstellen der Kandidaten auch immer auf die dominanten Kasten in einem Wahlbezirk. Wenn eine bestimmte Kaste numerisch sehr stark ist, wird man versuchen einen Kandidaten zu finden der aus dieser Kaste stammt oder zumindest wählbar für diese Kaste ist. Brahmanen werden keinem Scheduled Caste Kandidaten ihre Stimme geben und umgekehrt. Es sei denn die Partei schafft es mit einem lokalen oder überregionalen Thema, die Menschen für sich zu gewinnen. So geschehen 2014, als Narendra Modi den Menschen endlich ein Ende der Korruption versprach.
Amartya Sen (indischer Nobelpreisträger) hat einmal gesagt, dass “kein Land fit für Demokratie wird, sondern nur durch Demokratie” (“a country does not become fit for democracy but through democracy”).