Alle Wahlen wieder, gibt es auch in Indien die berühmten Wahlversprechen. Jede Partei versucht nochmal hektisch bei einer möglichst großen Wählergruppe zu punkten, und das mit mehr oder weniger realistischen Versprechungen.

Die Armen sind immer ein beliebter Empfänger in Indien, da sie eine große Bevölkerungsgruppe darstellen die meistens nicht sehr gebildet ist und damit eher auf Versprechungen anspricht.

Das größte Wahlversprechen bei dieser Wahl lieferte dieses Mal die Kongress-Partei ab. Am 25.März verkündete Rahul Gandhi, der Generalsekretär, einen visionären, man könnte auch sagen, tollkühnen Plan: Sollte er an die Regierung kommen, wollte er den ärmsten 20% der Bevölkerung, gut 50 Millionen Familien, ein bedingungsloses Grundeinkommen von 6000 INR monatlich auszahlen.

Das schlug ein wie ein Blitz! 6000 INR monatlich oder 72 000 INR pro Jahr (80 Euro bzw. 960 Euro), für 50 Millionen Haushalte, das ist ambitioniert.

Plötzlich redete niemand mehr über die spektakulären Luftschläge der indischen Luftwaffe in Pakistan. Von einem Moment auf den nächsten, war Rahul Gandhi und sein Plan von einem bedingungslosen Grundeinkommen, oder NYAY (Nyuntam Aay Yojana) wie er es nannte, in aller Munde.

Niemand hat bisher ein ambitionierteres Projekt zur Armutsbekämpfung ins Spiel gebracht, allein die Zahlen sind absoluter Wahnsinn:

6000 INR pro Monat für 50 Millionen Familien, dass bedeutet eine jährliche Ausgabe von 3.6 Lakh Crore Rupien. Eine Zahl die mir mein Taschenrechner nicht mehr anzeigt! Also 3 Billionen 600 Milliarden oder 3600000000000 INR!

Oder 48 Milliarden Euro.

Das sind 1,8% des indischen Bruttoinlandsproduktes oder 13% des Finanzhaushaltes 2019-2020. Ungefähr das Dreifache von dem was Indien für Gesundheit und Bildung ausgibt!

Eine Menge Geld also! Was ist dran an NYAY (was auf Hindi übrigens Gerechtigkeit heißt)? Nur Wahlkampfversprechen welches eh nie eingelöst wird oder eine revolutionäre Maßnahme gegen Armut?

Also erst mal muss man dafür wissen, dass es in Indien kaum Einkommensstatistiken gibt. Schon gar nicht für die Armen die keiner geregelten Arbeit nachgehen.

Das erste große Problem wird also sein, die ärmsten 20% der Bevölkerung zu identifizieren.

Werden am Ende die besten Lügner von NYAY profitieren? Die Leute die sich am besten armrechnen können oder eventuell lassen? Denn irgendjemand muss ja Einkommenszertifikate oder ähnliches ausstellen. Und die Versuchung wird gross sein, hierbei zu profitieren. Der Korruption wird also Tür und Tor geöffnet.

Dazu kommt, die meisten der Armen leben auf dem Land, oft in kleinsten Dörfern mit kaum Infrastruktur und keinen Banken.

NYAY soll laut Plänen von Rahul Gandhi monatlich auf das Bankkonto der ältesten Frau der Familie ausbezahlt werden. Viele Menschen in Indien haben allerdings kein Bankkonto, schon gar nicht die Ärmsten der Armen.

Auch darf man nicht vergessen, dass es in Indien ein enormes Einkommensgefälle zwischen den unterschiedlichen Bundesstaaten gibt. 6000 INR sind extreme viel Geld für jemanden der in Jharkhand oder Bihar lebt. Aber in Kerala wo die Löhne und die Lebenskosten höher sind, macht es nicht so viel aus.

Auch ist die Finanzierung bis heute unklar. Rahul Gandhi hat explizit erwähnt, dass keine bestehenden Sozialprogramme für NYAY zusammengestrichen werden soll.

Wie also finanzieren? Im Raum steht der Vorschlag einer Reichensteuer. Also große Vermögen mit 2% pro Jahr zu versteuern.

Während Indien in den 1990ern nur zwei Milliardäre hatte, gibt es heute 131. Hier wäre also Geld vorhanden.

Allerdings zeigt die Geschichte, das höhere Steuern nicht unbedingt größere Einnahmen versprechen. Meistens bewirken sie nur, dass die Steuerzahler sich arm rechnen oder Steuern hinterziehen.

Geld an anderer Stelle einsparen? Nun ja, es gibt sicherlich eine Reihe von Subventionen die man abbauen könnte. Auch könnte man bei den Staatsausgaben sparen oder eben Schulden machen. Aber beide Möglichkeiten sind mit großen Risiken verbunden. Subventionen abbauen ist meistens schwierig und bringt oft mehr Verlierer als NYAY Gewinner. Sparen klingt immer gut, aber in den Bereichen Gesundheit, Bildung, etc. wäre es ein Disaster. Und Schulden machen in Zeiten des globalen Abschwungs? Keine gute Idee.

Fakt ist, NYAY ist bisher nur eine schöner Traum. Es klingt gut, macht sich gut im Wahlkampf und erregt Aufmerksamkeit. Und die Idee Reichtum umzuverteilen ist immer reizvoll und kommt gut an bei den weniger betuchten Wählern.

Aber die Details, weder bei der Finanzierung noch bei der Umsetzung sind bisher noch absolut ungeklärt. Von daher sehe ich NYAY eher als Wahlkampfversprechen als etwas was in absehbarer Zeit umgesetzt wird. Ich glaube sogar, dass Rahul Gandhi eher nicht an einen Sieg und anschliessende Regierungsbildung glaubt, sondern eher an die Rolle des Oppositionsführers. Dafür ist NYAY dann natürliche doppelt reizvoll um die Regierung vor sich herzutreiben.

Ob NYAY der Kongress Partei im Wahlkampf wirklich hilft ist unter Experten umstritten. Es hat eindeutig Aufmerksamkeit eingebracht. NYAY ist auf den Titelseiten der Zeitungen und Magazine und jeder spricht darüber. Aber den meisten Menschen ist auch klar, dass die heutigen Wahlkampfversprechen die morgigen Steuern sind. Und profitieren werden am Ende nur 20% aller Wähler.

80% müssen die Zeche am Ende bezahlen. Direkt oder indirekt.