So, heute ist es auch bei uns endlich so weit! Udaipur und die meisten südlichen Wahlkreise in Rajasthan gehen zur Wahlurne. Ich nicht, da ich keine indische Staatsbürgerschaft besitze, sondern nur einen OCI Status (Indien erlaubt keine doppelte Staatsbürgerschaft).  Mein Status erlaubt mir eine Menge in Indien, ich kann hier studieren, arbeiten, wohnen, einreisen, ohne Einschränkungen. Aber ich kann nicht wählen. Heute bin ich darüber gar nicht mal so unfroh, da ich nicht wüsste, welcher Partei ich meine Stimme geben würde.

In Rajasthan ist es ja vor allem die Wahl zwischen Kongress Partei und BJP, auch wenn es noch einige kleinere Parteien gibt, sie spielen keine Rolle in der politischen Landschaft Rajasthans.

Vor vier Jahren war ich ähnlich gespalten. Nach 10 Jahren Kongress Partei und zahlreichen Korruptions-Skandalen, brachte Narendra Modi frischen Wind in die erstarrte Politik. Er erweckte die BJP zu neuem Leben und versprach ein Ende der Korruption. Er wollte Jobs schaffen und die Wirtschaft voran bringen. Durch Wirtschaftswachstum sollte vor allem die Mittelschicht profitieren. Hauptsächlich die jungen Wähler waren elektrisiert! Endlich gab es jemanden der sich ihrer Probleme annahm!

In Indien sind 50% der Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Jedes Jahr strömen hunderttausende junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Aber die Realität ist düster. Es gibt zu wenig Jobs. Es gibt zu wenig Jobs für gering-qualifizierte Arbeiter und es gibt auch zu wenig Jobs für gut-qualifizierte Arbeiter, wobei hier das Problem geringer ist.

Und das bei mehr als 7% Wirtschaftswachstum im letzten Jahr!

Normalerweise wächst mit der Wirtschaft auch die Zahl der Jobs. Allerdings wächst in Indien vor allem der Dienstleistungssektor, aber kaum die fertigende Industrie. Als Folge entstehen nur wenig neue Arbeitsplätze und noch weniger Jobs für gering-qualifizierte Arbeiter.

Arbeit ist ein großes Thema für Indien und vor allem für junge Inder in den Schulen und Universitäten. Viele haben Angst nach einem Studium keinen Job zu finden. Hier setzte Modi an, und versprach vor allem Arbeitsplätze zu schaffen und die Korruption zu bekämpfen.  Das brachte ihm 2014 einen Erdrutsch-Sieg und eine satte Mehrheit im Parlament ein.

Nach 5 Jahren BJP-Regierung, muss man nun allerdings sagen, Modi hat es nicht geschafft sein zentrales Wahlversprechen von 2014 einzuhalten. Indien hat die höchste Arbeitslosenrate seit 45 Jahren und das liegt durchaus an Narendra Modi selber. Zwar hat der Premierminister vieles versucht und angestoßen, wie zum Beispiel sein Projekt “Make in India”. Dieses Projekt, noch 2014 ins Leben gerufen, versucht vor allem lokale Industrien zu stärken und mehr Produkte in Indien zu fertigen um damit ultimativ mehr Jobs zu schaffen. Das gelang leider nur sehr marginal. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber vermutlich wurden nur einige zehntausende neue Jobs geschaffen.

Gleichzeitig gingen nach offiziellen Schätzungen circa 3.5 Millionen Jobs durch die Demonitarisierung und die neue GST-Besteuerung verloren.

Das schadet der BJP enorm. Hatte sie nicht angekündigt sich an ihrem Erfolg messen zu lassen?

Ebenfalls negativ zu bewerten, ist die aufgeheizte Stimmung im Land gegen Minderheiten. Die Kongress-Partei hat immer beschworen, dass sie die einzigen sind, die allen Minderheiten gleiche Rechte und Schutz gewähren können. Die BJP spiele mit dem Feuer und sei im Kern eine Hindu-Klientel Partei die religiöse Minderheiten am liebsten aus dem Land treiben würde.

Das ist natürlich haltlos übertrieben, gleichzeitig ist nicht von der Hand zu weisen, dass die BJP mit Hardlinern und Hindu-Chauvinisten wie der Shiv Sena oder dem RSS gemeinsame Sache macht. Narendra Modi steht dem RSS nah und dieser ist streng Hindu-national. Muslime gelten als Bürger zweiter Klasse und haben sich der Hindu Mehrheit bitteschön anzupassen.

Die Wahl Narendra Modis zum Premierminister hat selbst-ernannte Kuh-Schützer, Hindu-Nationalisten und Hindu Moralapostel den Rücken gestärkt. In den letzten Jahren wurden immer wieder Fälle von Gewalt gegen Muslime bekannt, die beschuldigt wurden Kühe geschlachtet oder über die Grenze nach Bangladesh geschmuggelt zu haben (wo sie ebenfalls geschlachtet werden). Die angeblichen Kuhschmuggler wurden nicht selten zu Tode geprügelt durch sogenannte Gau-Rakshas oder Kuh-Schützer die dafür oft noch nicht einmal zur Rechenschaft gezogen werden. Das Schweigen Narendra Modis dazu war ein lautes. Erst viel zu spät und viel zu allgemein wandte er sich dann endlich gegen Personen die das Recht in die eigene Hand nehmen würden.

2016 gewann die BJP die Wahlen im wichtigen Bundesstaat Uttar Pradesh, in dem es immer wieder zu Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen kommt. Anstatt die Wogen zu glätten und einen Kandidat des Ausgleichs zwischen den religiösen Gruppierungen zu bestimmen, entschied sich die BJP den Mönch und Hindu-Nationalisten Yogi Adityanath zum Ministerpräsident zu machen, der als junger Mann an gewalttätigen Ausschreitungen gegen Muslime teilgenommen hat und selbst von sich sagt, dass er dafür kämpft Uttar Pradesh und Indien zu Hindu Staaten zu machen.

Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hat die BJP jetzt die Hindu-Nationalistin und Angeklagte im Malegaon-Bombenattentat, Pragya Singh Thakur als Kandidatin für Bhopal aufgestellt, ebenfalls eine Hindu-Nationalistin.

Es ist immer die Frage in wie weit Narendra Modi hinter all diesen Entscheidungen steht und sie gutheißt. Aber alle Partei-Entscheidungen fallen auf ihn zurück.

Eine ganze Reihe Gründe also um nicht die BJP zu wählen. Doch ist die Kongress-Partei die bessere Wahl?

Nach 5 Jahren Opposition hat sich im Kongress viel verändert. Sonia Gandhi ist abgetreten und ihr Sohn Rahul hat die Zügel nun fest in der Hand.

Bei Rahul Gandhi habe ich immer so den Eindruck, er mag eigentlich gar nicht in der Politik sein, muss aber weil er der ein Spross der Familie Gandhi ist. Zwar hat er in den letzten Jahren an Statur und Eloquenz gewonnen, aber letztlich wirkt er trotzdem immer irgendwie wie ein Milchbubi den es aus Versehen in die Politik verschlagen hat.

Sein Projekt NYAY hat ihm die Aufmerksamkeit der Medien garantiert, aber da die Finanzierung noch komplett im Dunkeln liegt, scheint es eher eine Art Wahlkampfschlager zu sein, als ein Herzensprojekt welches Rahul Gandhi nach einer gewonnen Wahl auch praktisch umsetzen würde. Fast scheint es, als würde er darauf setzen die Wahlen zu verlieren. Dann könnte er NYAY dazu benutzen den alten neuen Premierminister im Parlament vor sich her zu treiben.

Den Eindruck gar nicht wirklich gewinnen zu wollen bestärkt auch eine weitere  absurde Episode aus dem aktuellen Wahlkampf. Rahuls Schwester Priyanka Gandhi Vadra, gilt schon lange als Geheimwaffe der Kongress Partei. Allerdings eine bisher ungetestete! Sie ist sehr beliebt und macht schon länger Wahlkampf für ihre Mutter und ihren Bruder. Selbst ziert sie sich und kandidiert nach wie vor nicht für das Parlament. In einer ihrer Wahlkampfreden machte sie die Bemerkung vielleicht als Kandidatin für den Wahlkreis Varanasi anzutreten. Varanasi ist die heilige Stadt der Hindus und Parlamentssitz von Narendra Modi seit 2014. Wäre sie hier angetreten, wäre sie direkt gegen den Premierminister angetreten. Ein Kampf der Giganten. Rahul Gandhi und die Kongress Partei hielten sich erst einmal bedeckt und wollten eine Kandidatur Priyankas werde bestätigen noch widerlegen. Kryptische Bemerkungen Rahul Gandhis, “man wolle die Spannung noch etwas erhalten” erhöhten die Erwartungen.

Erst vor drei Tagen kam dann das Dementi. Nein, Priyanka würde nicht gegen Narendra Modi kandidieren sondern Ajay Rai, der selbe Kandidat der 2014 gegen den Primierminister verloren hat.

Es war ein PR-Desaster! Alle Zeitungen,  Kolumenen und Blogs zerrissen die Entscheidung als feige und desaströs für die Parteimoral.

Darüber kann man denken was man will, es zeigt in jedem Fall, dass Bruder und Schwester nicht bereit sind, alles zu geben um ihre Partei wieder an die Macht zu führen. Es scheint, als ob sie sich bereits mit einer Niederlage abgefunden hätten.

Dazu kommt ja auch die Erinnerung an die letzten 10 Jahre Kongress Regierung mit ihren zahlreichen Korruptionsskandalen! Es war eine bleierne Zeit in der nicht vorwärts ging und wenig politisch durchgesetzt wurde. Man hatte oft das Gefühl, dass die Minister und Abgeordneten viel zu sehr damit beschäftigt waren ihre Pfründe zu sichern und einen Teil des Kuchens abzubekommen, um Politik zu machen.

In so fern, bin ich eigentlich ganz froh, mich nicht diesem Dilemma aussetzen zu müssen. Ich kann mich heute zurücklehnen und beobachten.

Mehr zu meinen Beobachtungen zum Wahlverhalten meiner Freunde und Mitbürger kommt im nächsten Blog Beitrag!