So eigentlich sollte dieser Beitrag am 23.4. fertig und gepostet sein, aber er verschwand dann doch nochmal auf meinem Laptop um heute wieder aufzutauchen.

Eine meiner großen Leidenschaften sind Bücher. Ich kann in keinen Buchladen gehen ohne Geld dort zulassen und finde eigentlich immer ein neues interessantes Buch, was ich gerne lesen würde. Ich habe mehr neue Bücher zu Hause im Regal stehen, als ich realistischerweise diese Jahr noch lesen könnte und mein größter Alptraum ist es, irgendwo warten zu müssen, ohne ein Buch dabei zu haben.

Wenn ich irgendwo hin fahre, habe ich immer ein Buch in der Handtasche. Oder wenn es sein muss, als Datei auf dem Handy. Obwohl ich mich mit dem digitalen Lesen, nie so wirklich habe anfreunden können. Ich gebe zu, es ist oft praktischer als ein 1200-Gramm Schinken mitnehmen zu müssen, vor allem wenn man Wandern geht und sein Gepäck selber auf dem Rücken mitschleppen muss. Oder wenn man abends im Zelt liegt und keine Lust hat seine Taschenlampe anzuknipsen um noch ein paar Seiten zu lesen.

Aber kein E-Book erweckt jenes Gefühl von Geborgenheit, Vorfreude und freudiger Erregung in mir, wie ein gerade-neugekauftes Buch, egal ob Hardcover oder Taschenbuch. Das Gefühl ein Buch in der Hand zu halten, das Geräusch welches die weißen Seiten, beim Umblättern machen, der Geruch von Frisch-bedrucktem Papier oder auch das Gefühl der tiefen Befriedigung, wenn Seite um Seite umgeblättert wird und man auf einen Blick feststellen kann, wie viel man bereits gelesen hat. Bei besonders guten Büchern kommt dann irgendwann noch die Verzweiflung dazu, wenn das Ende der Beziehung zwischen Buch und Mensch, durch die geringe Anzahl der noch ungelesenen Seiten, plötzlich absehbar wird.

Das alles ist bei einem E-Book doch irgendwie unbefriedigend, auch wenn der Inhalt der selbige ist.

Auch sind gute Bücher wie gute Freunde. Man umgibt sich gerne mit ihnen, stellt sie ins Regal um sie bei Gelegenheit mal wieder in die Hand zu nehmen und eventuell ein Kapitel, oder auch mehr, noch einmal zu lesen. E-Books sind reine Datenmengen. Hat man sie durch, werden sie auch schnell wieder gelöscht. Die Beziehung zwischen uns ist eine Kurzbeziehung. Gelesen, gelöscht. Eventuell kauft man sich noch das richtige Buch dazu, aber das ist eigentlich selten der Fall (naja ich gebe zu, so viele E-Books lese ich auch nicht).

Wie komme ich nun auf das Thema Bücher (davon abgesehen, dass heute Tag des Buches ist)? Ich war letztens auf einer Familienfeier in meiner weitläufigen indischen Verwandtschaft eingeladen. Im Schlafzimmer (in Indien sitzt man oft im Schlafzimmer auf dem Bett, vor allem wenn viele Gäste sich auf kleinem Raum verteilen müssen, oder wenn es der einzige Raum im Haus mit Klimaanlage ist) fiel mir sofort ein Bücherschrank ins Auge. Hier muss man wissen, dass Bücher in Indien meistens nur Mittel zum Zweck sind. Inder haben vor allem Sachbücher die einem Zweck dienen. Belletristik oder Bildbände findet man nur sehr selten. Gelesen wird um sich auf Prüfungen vorzubereiten oder weil es im Beruf von Nöten ist. Wenige Inder lesen als Freizeitbeschäftigung oder zur Ablenkung. Dazu dient vornehmlich der Fernseher.

Dabei hatte Indien schon immer eine wichtige literarische Kultur. Die Sanskrit Schriften und Epen des klassischen Zeitalters sind weltberühmt und zählen zu den ältesten der Welt.

Persische Poetik und Dichtkunst waren legendär und zur Moghul-Zeit musste jeder Beamte bei seiner Einstellung selbstverfasste Gedichte vorweisen können um zu beweisen dass er nicht nur der Schrift sondern auch der Dichtkunst mächtig war.

Später wurde Urdu die Sprache der indischen Literatur und Dichtkunst, dann Englisch und verschiedene Regionalsprachen. Im Grunde genommen muss man heute von der indischen Literatur im Plural sprechen, denn obwohl die meisten Bücher und Schriften die in Indien verlegt werden, heute auf Englisch erscheinen, gibt es eine große Menge an Literatur in den verschiedenen Regionalsprachen.

Rabindranath Tagore hat Indien’s ersten Nobelpreis gewonnen, in Literatur.

Anglo-indische Literatur aus der Kolonialzeit etablierte Englisch als Lingue Franca Indiens aber auch als wichtigste Literatursprache des Subkontinents.

Heute finden zwei der größten Buchmessen der Welt in Indien statt, die Kolkata Book Fair in Kolkata und die New Delhi Wold Book Fair in Delhi.

Indien war bereits zweimal Gastland der Buchmesse in Frankfurt, 1986 und 2006.

Und der Buchmarkt in Indien ist riesig, Schätzungen zu Folge gibt es in Indien circa 16 000 Verlage mit etwa 70 000 Neuerscheinungen pro Jahr. Die Hälfte davon auf Englisch, die andere Hälfte erscheint in den unterschiedlichen Regionalsprachen.

Der indische Buchmarkt ist der sechstgrößte der Welt und der zweit-größte von englischsprachigen Bücher.

Allerdings, ein Großteil des Umsatzes wird mit Schulbüchern gemacht. 70% aller Veröffentlichungen sind akademische Bücher. Der normale Inder liest um sich zu bilden, er liest, weil er muss, oder glaubt zu müssen.

Das heißt, die meisten Bücher die in Indien verkauft werden sind Schulbücher oder Bücher akademischer Natur.  Dazu kommen einige wenige Bestseller. Der Rest des Buchmarktes ist unorganisiert und wenig lukrativ.

Konventionelle Buchläden schließen oder verbreitern ihr Sortiment hin zu Spielzeug, DVDs, etc.

Ich habe das schon auch schon bemerkt. In Udaipur gibt es zwei große Buchläden (von den Buchhändlern die akademische und Schulbücher verkaufen mal abgesehen), „The Pages“ und „Crossword“ (ein Ableger einer Ladenkette).

„The Pages“ gibt es seit ich in Udaipur lebe und vermutlich schon länger. Hier habe ich früher alle meine Bücher gekauft. Der Laden ist ein kleines Familiengeschäft und zog mehrfach um. Neben Büchern wurden immer schon Schreibwaren besonderer Natur verkauft (Mont Blanc und andere hochpreisige Marken). Später kam dann Spielzeug und Baby-Bedarf hinzu.

Über die Jahre wurde das Buch-Sortiment immer kleiner und das Sortiment an Spielsachen immer größer.

Mittlerweile gibt es im Laden noch ein Regal für Bücher und der Rest der Verkaufsfläche widmet sich Anderem.

Seit circa 5 Jahren gibt es in Udaipur ein „Crossword“. „Crossword“ ist eine Ladenkette die Bücher und Unterhaltungsmedien verkauft. Es gab eine Kundenkarte mit der man 10% Rabatt auf Bücher bekam.

Zuerst gab es nur einen kleinen Laden in der Celebration Mall, dann zogen sie um in die Lake City Mall in einen großen Laden. Hier ging ich gerne ein und aus.

Aber auch bei „Crossword“ habe ich stumm mitansehen müssen, wie das Restsortiment (sprich alles ausser Büchern) mit der Zeit zugenommen hat. Mittlerweile ist 50% der Verkaufsfläche mit Spielzeug, DVDs und Schreibwaren belegt. Immerhin gibt es eine gute Auswahl an indischen und ausländischen Büchern und auch regionale Literatur auf Hindi. Leider wurde die Kundenkarte mittlerweile abgeschafft und die 10%-Regel durch ein Punkte-System ersetzt.

Aber den Löwenanteil des Buchmarkts haben mittlerweile Online-Händler, vor allem Amazon, übernommen. Schon allein aus dem Grund weil es hier alle Titel und alle Formate zu kaufen gibt. Die edle Hardcover Ausgabe mit Extra-Einband genauso wie die low-cost Taschenbuchausgabe für 100 INR der da E-Book.

Und das bringt uns zu einem weiteren Punkt. Bücher sind in Indien günstig zu erwerben. Sie kosten oft weniger als die Hälfte von dem was sie in Deutschland kosten, von England mal ganz abgesehen.

Selbst in einem normalen Buchgeschäft bekommt man Taschenbücher für 200-600 INR (2 – 8 Euro). Hardcover kosten so zwischen 500 und 1000 INR (6 bis 13 Euro) und dann gibt es noch einen blühenden Schwarzmarkt. Wer schon mal in Delhi am Connaught Place unterwegs war, der kennt die fliegenden Buchhändler, die dort ihre Ware feilbieten. Es sind zu meist Raubkopien schlechter Qualität die man dort für 100-200 INR kaufen kann. Das Repertoir besteht zu meist aus einer Reihe gestriger Klassiker wie “The Monk who sold his Ferrari”, “The Little Prince” oder “Mein Kampf” und gelegentlichen aktuellen Werken (vor allem kommerzielle Autoren wie Chetan Bhagat) oder Touristen Klassikern wie “A Princess Remembers”.

Ja für Bücherliebhaber ist Indien durchaus ein El-Dorado, zumindest wenn man gerne auf Englisch liest.

Warum also trifft man in indischen Haushalten sowenig Bücher?  Ich denke dass das vor allem mit dem indischen Schulsystem zusammenhängt. Indische Schüler müssen extreme viel pauken. Von klein auf, werden sie auf Leistung getrimmt und haben Prüfung hinter Prüfung. Nach der Schule geht es in den Nachhilfeunterricht, damit ja die Noten gut sind und die Kinder die Eingangstest in gute Schulen und Universitäten bestehen. Wer Medizin studieren oder auf eine der Elite-Universitäten gehen möchte, wird einem strengen Ausleseverfahren unterzogen. Nur die Besten werden genommen und ein schwieriger Eingangstest ist Voraussetzung. Um die gewünschte Prozentzahl zu erreichen (unter 90% geht schon mal gar nichts), gibt es langjährige Vorbereitungskurse in denen die Schüler gedrillt werden. Denn die Tests fragen vor allem trockenes Wissen ab, lassen aber kaum Raum für Kreativität oder gar alternative Problemlösung. Also pauken Indiens Schüler über Jahre Wissen in sich hinein und verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit Schulbüchern. So gedeiht wohl kaum Freude am Lesen.

Auch sind viele Eltern der Meinung, dass Trivial-Literatur reine Zeitverschwendung sei. Die Kinder sollten lieber für die nächsten Prüfungen lernen.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt auch Schulen die versuchen den Kindern eine Freude an Büchern mitzugeben. In der Schule meines Sohnes gibt es zum Beispiel eine umfangreiche Bibliothek, die von den unteren Klassen, einmal die Woche besucht wird und es gibt regelmäßige Buchmessen wo Eltern Bücher (akademischer und nicht-akademischer Nature) zu reduzierten Preisen kaufen können.

Und dann gibt es eben auch den ein oder anderen Lichtblick wie auf der besagten Familienfeier oder auch in Form von lese-begeisterten Besuchern die mit viel Freude zu meinem Bücherregel gegangen sind und mit denen ich dann hinterher gute Gespräche über das ein oder andere Buch oder den ein oder anderen Autor führen konnte. Aber leider sind diese doch recht selten und meistens stoße ich mit meiner Lesewut eher auf Befremdung. Wer auf einer Party auf seinem Handy daddelt ist ganz normal, wer ein Buch liest, erntet Kopfschütteln und gilt schnell als Menschenfeind.

Ich kenne so viele indische Haushalte die kein eines Buch besitzen (von den Schulbüchern der Kinder mal abgesehen). Ich habe mir als ich nach Indien gezogen bin, einige meiner Lieblingsbücher aus Deutschland mitgebracht, weil ich mich ohne sie einsam gefühlt hätte.

Vielleicht bin ich eher die Ausnahme als die Regel, aber ich brauche Bücher wie Luft zum atmen, sie sind meine Freunde, meine Begleiter und meine Ratgeber.

Schon meine Grundschullehrerin schrieb mir einst:

“Ich wünsche dir, dass du die Freude am Lesen nie verlierst!”

Ich glaube sie muss sich da keine Sorgen machen.