So allmählich kann ich das Thema Wahlkampf nicht mehr hören! Nach einem Monat Wahl-Marathon sind wir zwar immer noch nicht durch, aber die Leute sind mittlerweile erschöpft.

In so fern werde ich mich nach diesem Beitrag erst einmal anderen Themen zuwenden. Aber einige Anekdoten die in meinem letzten Beitrag keinen Platz fanden, wollte ich euch nicht vorenthalten.

Natürlich waren die Wahlen ein Thema im Gespräch mit Freunden und Verwandten. Viele meiner weiblichen Freunde und Verwandte hatten allerdings keine wirkliche Meinung zum Thema. Politik, wie langweilig! Einige mehr oder weniger kürzlich eingeheiratete Frauen, hatten sich bisher noch nicht umgemeldet und waren von daher auch noch nicht in das Wahlregister in Udaipur eingetragen. Sie hätten zu ihrem ehemaligen Wohnsitz, zu ihrem Elternhaus, fahren müssen, was sie dann aber nicht taten.

In Indien ist das Ummelden beim Ändern des Wohnsitzes nicht wirklich Pflicht. Man kann es tun, aber man muss es nicht. Aber Wählen darf nur jemand, der auch im Wahlregister eingetragen ist und dafür muss man vor Ort gemeldet sein.

Die Tageszeitung “Times of India” hatte vor einigen Monaten die vielen Wanderarbeiter thematisiert, die ja zum Arbeiten in andere Landesteile, oder sogar ins Ausland ziehen und dort oft über Jahre leben, ohne gemeldet zu sein. Die wenigsten fahren zurück nach Hause nur um dort zu wählen. So haben Hundertausende Menschen in Indien gar nicht die Möglichkeit am demokratischen Prozess teilzunehmen.

Allerdings muss man natürlich auch sagen, dass viele dieser Menschen auch gar kein Interesse haben, bzw. zu Hause vermutlich den Kandidaten wählen würden, den ihre Familie oder ihr Clan entschieden hat zu wählen. Das ist auch nicht wirklich demokratisch.

Und das ist auch nicht nur ein Problem der ungebildeten Unterschichten. Eine gute Freundin von mir, zuckte nur die Schultern als ich sie auf die Wahl ansprach. Sie würde ihren Vater fragen, welchen Kandidaten sie wählen sollte. Er würde schon wissen, von wem sie am meisten profitieren würden.

Und sie ist sonst eine Frau die sehr direkt ihre eigene Meinung vertritt, als Lehrerin gearbeitet hat und drei Universitätsabschlüsse hat.

Eine andere befreundete Familie, wählt die Kongress Partei, weil sie immer schon Kongress Partei gewählt hat.

Eine weitere hat sich nach einigen Diskussionen für Modi und die BJP entschieden. Das Wählen “en bloc” ist Tradition in Rajasthan. In einem Land der Groß-Familien, trifft oft das Familien Oberhaupt alle Entscheidungen. Auch wie die Familie zu wählen hat. Dieser Entscheidung können Diskussionen voraus gegangen sein, oder auch nicht. Oft genug entscheiden die Alten und die Jungen folgen. Das sieht man auch durchaus bei den politischen Amtsträgern, viele sind über 70, einige über 80 Jahre. Junge Menschen hingegen findet man in der indischen Politik wenig. Wobei das ja durchaus auch für die deutsche Politik gilt.

Ein weitere Faktor, ist die Kaste. Es gilt das Sprichwort “Indians don’t cast their vote, but vote their caste”.

Sehr häufig kann man hören, Rajputen wählen traditionell die Kongress-Partei, etc. Das ist heute nicht mehr ganz so vordergründig wie früher, aber hintergründig spielt Kaste immer eine Rolle.

Der Modi-Faktor hat 2014 das Kasten-Prinzip ziemlich ausgehebelt, da er sich vor allem an die Mittelklasse gewandt hat und ihren Mitgliedern einen wirtschaftlichen Aufschwung versprochen hatte. Das gilt auch in diesem Jahr, allerdings gibt es auch eine spürbare Desillusionierung mit Modi, weil er sein zentrales Versprechen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, nicht halten konnte. Aber die Mittelklasse ist bereit ihm noch eine zweite Chance zu geben.

Am unteren Rand der Gesellschaft ist die Kaste wieder der bestimmende Faktor. Hier wählen ganze Bevölkerungsgruppen geschlossen einen Kandidaten.  Und die unterprivilegierten Schichten machen vielerorts, vor allem im ländlichen Bereich die Mehrheit aus.

Also schauen die Parteien sich vor allem die Kasten-Verteilung in den Wahlkreisen an. Welche Kasten sind numerisch wie stark und wer kann mit welchem Kandidaten gut leben und wer nicht. Das führt dann oft zu einem regelrechten Kandidaten-Roulette. Die Kandidaten werden von der Parteizentrale bestimmt die oft nur darauf schaut, welche Chancen er hat. Da werden erfolgreiche und erfolglose Kandidaten in andere Wahlkreise versetzt oder kurzfristig ganz abgeschossen, wenn die Zentrale meint, dass ein anderer bessere Chancen hätte. Das hat dann oft zur Folge dass abgelehnte Kandidaten einfach die Partei wechseln oder als Parteilose antreten, vor allem wenn sie eine starke lokale Basis und Anhängerschaft haben. Manche Politiker wechseln ihr Parteibuch wie ihre Unterhose und treten heute für die eine an, morgen für eine ganz andere Partei. Das ist in Indien normal und erzeugt normalerweise kaum Wirbel.

Ein Fall, eines besonders krassen Wechsel, hat es dann aber doch auf die Titelseite der überregionalen Tageszeitungen gebracht: Priyanka Chaturvedi, Sprecherin der Kongress-Partei, wechselte abrupt und mehr oder weniger über Nacht, zur Shiv Sena. Das ist eine radikale Hindu-Nationalisten-Partei die erheblich weiter rechts als die BJP steht, vom Kongress mal ganz abgesehen. Vergleicht man die politische Situation ist es als würde Andres Nahles plötzlich zur AfD überwechseln.

Offizieller Grund für diesen Wechsel war, dass die Kongress-Partei , einige Parteimitglieder, die sich ihr gegenüber schlecht benommen hatten, nicht ausgeschlossen hatte.

Inoffiziell war sie aber wohl unzufrieden, dass die Partei sie nicht aufgestellt hatte.

Bisher habe ich noch überhaupt nichts zu den Kandidaten in Udaipur geschrieben. Das hat den Grund, dass diese relativ unwichtig sind und im Wahlkampf kaum in Erscheinung traten. Udaipur ist ein sogenannter “reserved seat”, also ein Parlamentssitz der unter die Quote fällt. Zum Thema Quote und Reservierung werde ich irgendwann nochmal einen eigenen Blog-Eintrag schreiben, da dass es ein sehr kompliziertes und umstrittenes Thema ist. Nur soviel, in Indien gilt eine Quote von 84 Sitzen für Scheduled Castes (das sind die früheren Unberührbaren) und 47 Sitze für Scheduled Tribes (das sind die Eingeborenen-Stämme) im Parlament.

Udaipur ist ein Scheduled Tribe Sitz. Also dürfen nur Kandidaten die selber zur ST-Kategorie gehören (also Stammes Angehörige die als ST anerkannt sind), kandidieren.

Rajasthan hat sehr viele Scheduled Tribes, vor allem hier bei uns im Süden. Der Stamm der hier lokal am meisten verbreitet ist, ist der Stamm der Bhil. Die Bhil sind ein gutes Beispiel für einen Scheduled Tribe. Sie sind sozio-ökonomisch benachteiligt und leben meistens also landlose Arbeiter oder Kleinst-Bauern in den kargen Aravalli-Bergen.

Der ideale Kandidat im Sinne des Gerechtigkeits-Gedankens der hinter der Quote steht, wäre also ein Bhil.

Die Kongress-Partei und die BJP haben beide Kandidaten des Meena-Stamms aufgestellt. Die Meena fallen in Rajasthan auch in die ST-Kategorie und sind vor allem in der Region Jaipur-Sikar verbreitet. Im Gegensatz zu den Bhils, sind sie wirtschaftlich stärker und sozial besser gestellt und haben großen politischen Einfluss.

Dazu kommt, die Kandidaten Raghuveer Meena (Kongress-Partei) und Arjunlal Meena (BJP), sind Cousins und damit ist der Wahlkampf eher mau. Beide attackieren sich natürlich, aber im Grunde genommen ist es ein Wahlkampf Narendra Modi versus Rahul Gandhi und ob nun der eine oder der andere Meena für den Wahlkreis Udaipur im Parlament sitzt, ist den Leuten hier eher gleichgültig. Beide haben keine große Präsenz im Kopf und Herz der Menschen hier. Viele kennen nicht mal die Namen der Kandidaten.

So bleibt am Ende dieses Eintrags noch meine Prognose! Es gibt in Indien zwar auch Meinungsumfragen, aber die sind meistens eher schlecht als recht.

Also vertraue ich auf mein Gefühl: Ich würde sagen die BJP wird knapp gewinnen. Nicht in dem Maße wie 2014,, wo sie ja die einfache Mehrheit im Parlament erringen konnte,  aber ich denke sie werden einen knappen Vorsprung vor der Kongress Partei haben. Modi wird seine zweite Chance bekommen, aber wird wohl eine Koalitionsregierung bilden müssen.

Am 23.05. wissen wir mehr!