Bis vor wenigen Jahren, als die Flugtickets günstig wurden, und die indische Mittelschicht anschwoll, reiste Indien per Zug.

Das indische Eisenbahnnetz ist das zweitgrößte der Erde, die Passagierzahlen, trotz Konkurrenz des Flugzeugs, die höchsten überhaupt. In so fern lässt sich immer noch sagen, Indien reist per Zug, auch wenn lange Strecken von den Menschen, die es sich leisten können, mittlerweile lieber mit dem Flugzeug zurückgelegt werden. Und von den nördlichen Metropolen wie Delhi, Kolkata oder Mumbai, ist es ein langer Weg nach Chennai oder Bengalore.

Trotz allem, indische Züge verbinden den Norden mit dem Süden und den Osten mit dem Westen. Sie sind günstig, relative pünktlich, gut organisiert und langsam.

Zugfahrtzeiten von 40+ Stunden sind keine Seltenheit. Schnellzüge gibt es (noch) nicht und so tuckert man meistens mit 40 kmh Durchschnittsgeschwindigkeit über Land und halt an jedem hinterletzten Bahnhof.

Wer keine Eile hat, für den ist der Zug das ideale Transportmittel. Wenn man es denn schafft, ein Ticket zu buchen.

Das indische Buchungssystem ist mit Sicherheit eins der kompliziertesten der Welt! Man kann natürlich zum Bahnhof fahren und ganz einfach am Schalter ein Zugticket kaufen. Aber auch das ist nicht so ganz einfach, was daran liegt das Ticketkontingente für verschiedene Gruppen reserviert werden. Als Tourist kann man zum Beispiel ein Ticket unter der Tourist Quota buchen. Selbst wenn die generellen Tickets ausgebucht sind, bekommt man so oft noch einen Platz. Auch andere gesellschaftliche Gruppen, wie Studenten, Witwen oder Kriegsveterane, haben eigene Ticketkontingente.

Zuerst muss man wissen, dass die Nacht- und Langstreckenzüge immer ganz schnell ausgebucht sind. Vor allem an langen Wochenenden, Feiertagen oder während der Hochzeitssaison.

Da man Tickets gegen eine kleine Gebühr buchen und wieder zurückgeben kann, buchen viele Passagiere mehrere Tickets und entscheiden sich dann kurzfristig mit welchem Zug sie fahren möchten.

Also kann man nicht nur Plätze buchen die noch frei sind, sondern auch RAC (Reservation against Cancellation) und Warteliste.

Warteliste ist ziemlich klar. Werden Tickets zurückgegeben, rückt man auf. Auf beliebten Strecken sind Wartelisteplätze von 50 und 60 keine Seltenheit. Allerdings bekommt man, wenn man Pech hat, am Ende doch keinen Platz mehr und erfährt das eventuell erst 2 Stunden vor Abfahrt. Das Geld für sein Zugticket bekommt man dann zurück erstattet.

RAC ist ein eigentümlicher Begriff. Mit einem RAC Ticket darf man in den Zug einsteigen (mit einem Warteliste Ticket nicht) und hat zumindest für einen Teil der Strecke einen eigenen Platz. Den anderen Teil muss man seinen Platz mit einer oder mehreren Personen teilen. Wie das praktisch gehen soll, habe ich noch nie herausgefunden. Meine RAC-Tickets wurden am Ende immer bestätigt und ich hatte bisher immer meinen eigenen Platz.

Die indische Eisenbahn ist staatlich und besser als ihr Ruf. Die Organisation ist ziemlich gut und Verspätungen selten. Ich hatte in all den Jahren in dem ich mit der indischen Eisenbahn gefahren bin, erst zweimal eine substanzielle Verspätung. In Deutschland wiederrum scheinen meine Züge immer verspätet, oder fallen aus oder müssen umgeleitet werden, oder haben keine funktionierende Klimaanlage.

Das Klassensystem ist hier allerdings kompliziert. Das dauert bis man so richtig durchsteigt. Die 3. Klasse wurde vor einigen Jahren abgeschafft, seitdem gibt es offiziell nur noch 1.Klasse und 2.Klasse und Sleeper Class und Unreserved und AC Chair und und und. Reist man viel mit dem Zug und nutzt unterschiedliche Klassen, merkt man schnell, dass die 3.Klasse nur auf dem Papier abgeschafft wurde. Viele Bahnwagons sind nach wie vor furchtbar unbequem und überfüllt.

Ich reise meistens in der 2.Klasse. Wenn der Zug über Nacht fährt, dann am liebsten im Schlafwagen. Das gibt es den 2 Tier und den 3 Tier. Der 2-Tier hat in offenen Abteilen jeweils zwei Betten übereinander. Zwei mal zwei gegenüber und dann nochmal zwei auf der anderen Seite vom Gang. Der 3-Tier hat jeweils drei Betten übereinander. Beides sind AC-Abteile, es ist also klimatisiert und die Fenster sind geschlossen.

Die Sleeper Abteile haben keine Klimaanlage und offene Fenster. Auch hier sind 3 Betten übereinander so dass es ziemlich voll wird.

In der 2.Klasse gibt es auch Bettzeug. Zwei Laken, ein Kissen und eine Wolldecke (die man auch gut gebrauchen kann). Es gibt Licht und eine Steckdose pro Abteil. Die Abteile sind offen und man kann gut hin und her wandern. Pro Wagon gibt es zwei Toiletten, die sehr einfach und nicht sonderlich gemütlich sind.

Die meisten Züge haben Verpflegung. Das heiß:t zu bestimmten Zeiten laufen Leute durch den Zug und rufen “Chai, Chai” oder “Veg Cutlett, Veg Cutlett”, je nach dem was sie gerade dabei haben. Man kann auch eine Bestellung aufgeben und bekommt das gewünschte dann 20 Minuten später warm serviert.

Wer lieber indische Snacks haben möchte, muss nur die nächste Station abwarten, hinausspringen und sich eindecken. Die fliegenden Händler und kleinen Kiosks, wissen ganz genau, wann welcher Zug wo anhält und bieten ihre Ware frisch und warm gegen kleines Geld.

Mittlerweile geht das ganze sogar über eine eigene App. Ich buche mein Ticket über die IRTC-App und bekomme dann einige Tage vor Abreise eine SMS mit Angeboten was ich wo bestellen kann. In den größeren Bahnhöfen, wo die Züge bis zu 20 Minuten halten, kann ich in einem nahen Restaurant online vorbestellen. Die App gibt meinen Namen und meinen Sitzplatz direkt weiter und wenn der Zug im Bahnhof steht kommt ein Mann und bringt mir meine Pizza, meinen Burger oder was auch immer ich bestellt habe. Bezahlen kann ich direkt bei Auslieferung. Praktischer geht es nicht mehr.

In der 2.Klasse sitzt die indische Mittelschicht. Es gibt Wagons die sind für Frauen reserviert. Das ist ganz nett, allerdings muss man wissen, indische Frauen haben auch immer Kinder dabei. Und wenn man Pecht hat, dann hat man die ganze Fahrt über Kindergeschrei oder es weht gelegentlich der Duft einer frisch gewechselten Windel von gegenüber. Indische Frauen sind auch immer sehr neugierig. Männer auch, aber Frauen haben Frauen gegenüber selten Hemmungen sie gleich nach ihrem intimsten Familienleben auszufragen. Der Pluspunkt ist, man wird großzügig mit Essen bedacht und man lernt Leute kennen, die man sonst nie kennen gelernt hätte und bekommt Einblicke die man sonst nie bekommen hätte.

Und die Betten sind tatsächlich recht komfortabel, auch wenn es natürlich wenig Privatsphäre gibt. Jeder muss sein Bett selber machen und dann wenn man oben schläft, über eine kleine Räuberleiter hinaufsteigen.  Im 2-Tier hat man bequem Platz, im 3-Tier und Sleeper sollte man besser nicht klaustrophobisch veranlagt sein.

Es gibt auch dann immer so die Zeit, wo die meisten Leute dann ihr Bett machen und sich Schlafen legen. Im 2 Tier hat jedes Bett eine kleine Leselampe, so dass man das große Licht im Abteil ausmachen kann. Das Rattern des Zuges über die Schwellen, das Knattern des Deckenfans, das alles macht schläfrig und ich schlafe meistens gut in Nachtzügen. Die meisten Züge halten regelmäßig, egal zu welcher Uhrzeit. Da gibt es auch Haltestellen um zwei Uhr morgens. Je nach Haltestelle, wird länger oder kürzer gehalten, manchmal steigen viele Leute aus und wieder zu, so dass viel Unruhe im Zug ist.

Und ab 4:30 Uhr morgens ist dann der Chai Wallah unterwegs „Chai! Chai!“. Für 10 Rupien bekommt man einen Pappbecher dampfenden Tees. Die indische Bahn bemüht sich um ihre Fahrgäste.

In den letzten Jahren bemüht sich die indische Bahn um eine breite Elektrifizierung des Schienennetzwerks. Noch immer sind viele Dieselloks und sogar Dampfloks unterwegs und das noch ganz regulär im täglichen Eisenbahnverkehr.

In so fern ist Indien für Eisenbahn-Nostalgiker ein lohnendes Ziel. Von den Touristen-Zügen wie „Palace on Wheels“ abgesehen, gibt es viele schöne Strecken mit alten Dampfloks und Fahrpreisen von 30 Rupien (etwa 50 Cents) die Strecke.

Vor einiger Zeit bin ich mit dem Zug über die Aravalli Berge gefahren. Von Phulad bis Khambli Ghat. Das ist ein echter Geheimtipp. Eine alte Dampflok fährt über die Berge, mit vielen Tunneln und Brücken auf einer Schmalspurstrecke. Es gibt nur eine Klasse, „Unreserved“. Alte Abteile mit Holzbänken. Die Fenster ohne Glas, nur mit Eisenstangen davor, die Türen offen. Wer Lust hatte, kann an der Tür auf den Stufen sitzen und seine Beine baumeln lassen. Das ist besonders spannend wenn man über die zum Teil ziemlich hohen Viadukte fährt.

Die Landschaft der Aravalli Berge ist spektakulär. Je nach Jahreszeit ist es unglaublich grün mit Palmen, blühenden Wiesen und Büschen. Oder die Landschaft ist eher Ocker und Gold, gespickt mit immergrünen Akazien.

Dich Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 25 km/h und vor jedem Tunnel tutet der Lokführer. Die Dampflok ächzt und keucht die Berge hinauf und rattert auf der anderen Seite fröhlich wieder herunter.

Ganz oben auf dem Pass, gibt es eine Haltstelle. Hier kommen die Affen in den Zug gehüpft um sich Bananen und anderes Obst von den Passagieren zu erbettelt. Die schlauen Tiere wissen genau, wann der Zug wieder losfährt. Dann springen sie behände wieder hinaus um sich mit ihrem erbeuteten Obst auf einen Baum zurückzuziehen, und es genüsslich zu verspeisen.

Es ist so eine Zugfahrt, die man problemlos die ganze Zeit aus dem Fenster (oder aus der Tür) hängend, und die Landschaft bewundernd, verbringen kann.  Das Herz jaucht und das Auge kann sich kaum satt sehen an der einzigartigen Landschaft. Am Ende ist man viele Eindrücke reicher, und hat einen Einblick in das Indien vor hundert Jahren bekommen.