Bis jetzt konnte ich das Thema Kaschmir eigentlich immer gut umschiffen, aber nachdem Kaschmir nun wieder in aller Munde ist und es bis in die Topnachrichten der westlichen Welt geschafft habe, möchte ich mich nun doch einmal zum Thema zu Wort melden.
Indiens nördlichster Bundesstaat ist auch gleichzeitig der schwierigste.
Ein Teil gehört zu Indien, ein Teil zu Pakistan und ein kleiner Teil zu China, das allein würde schon für Unruhe sorgen. Aber gleichzeitig hat Kaschmir, seine Ambitionen auf eine Unabhängigkeit nie aufgegeben und sorgt auch damit für stetige Unruhe und Konflikt mit dem indischen Staat.
Nun hat Narendra Modi in einer Nacht- und Nebel-Aktion ein Gesetz eingebracht, welches die Sonderrechte die Kaschmir seit der Eingliederung in den indischen Staat, genoss, abschaffen wird. Gleichzeitig soll ein zweites Gesetz dafür sorgen, dass Kaschmir zweigeteilt wird und von einem Bundestaat zu zwei Union Territories (das sind Bundesstaaten ohne Exekutive) herabgestuft wird.
Beide Gesetze sind Anfang der Woche im Oberhaus angenommen und einige Tage später auch vom Unterhaus angenommen worden. Im Oberhaus hat die BJP keine Mehrheit, trotzdem wurden die Gesetze mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet. Das zeigt, wie sehr das Thema Kaschmir die Parteien vereint. Im Unterhaus protestierte ein Teil der Opposition und einige Parteien haben demonstrativ das Parlament verlassen. Trotzdem wurde das Gesetz auch hier mit Mehrheit verabschiedet.
In Kaschmir sorgen eine Ausgangsperre, sowie gekappte Telefon- und Internetverbindungen, für eine gespenstische Ruhe. Politiker wurden vorsichtshalber unter Hausarrest gestellt, Touristen unter dem Vorwand einer Terrorwarnung, ausgeflogen. Indien möchte unter allen Umständen gewaltsame Ausschreitungen in Kaschmir verhindern.
Zeit das Thema Kaschmir einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, auch wenn es ein extrem kontroverses Thema ist, welches einen ganzen Blog füllen könnte.
Aber wir fangen einfach mal von vorne an!
Kaschmir war lange ein eigenständiges Königreich mit einem muslimischen Herrscher. Im frühen 19ten Jahrhundert eroberte der Sikh Herrscher Ranjit Singh Kaschmir. Die Sikhs waren einflussreiche Maharadschas im Punjab die im 18ten Jahrhundert noch eine der dominierenden politschen Kräfte in Nordindien waren und um das mogulische Erbe mitfochten. Am Ende besiegten die Briten die Sikhs und beschnitten ihren Machtanspruch über den Punjab hinaus. Kashmir fiel den Briten als Kriegsbeute zu und sie machten Gulab Singh, den Maharadscha von Jammu zum Maharadscha von Jammu und Kashmir. Damit wurde Kashmir formell als einer der grössten britischen Vasellenstaaten in Indien (den sogenannten princely states) anerkannt. Das Gulab Singh (übrigens ein Dogra Rajput), Hindu war, und die Mehrheit seiner Untertanen, Muslime, störte die Briten überhaupt nicht.
Im 20.Jahrhundert began der Freiheitskampf der Inder gegen die britische Kolonialherrschaft. Zuerst war die Religionsangehörigkeit nicht so wichtig, Hindus und Muslime kämpften Seite and Seite. Leider began sich das in den späten 1920er Jahren zu ändern. “Divide and Rule” war immer schon ein wichtiges Motto der Briten und sie schafften es damit, Hindus gegen Muslime auszuspielen, und Misstrauen zwischen den Religionsgemeinschaften zu sähen.
Ich will jetzt nicht in alle Details gehen, das würde zu lange dauern, aber die Konsequenz war, dass Indien erst nach dem 2.Weltkrieg unabhängig wurde und dass Indien zweigeteilt wurde, in Indien und Pakistan. Letzteres war Muhammend Jinnah und seiner Muslim League zu verdanken, die den indischen Muslimen einredeten, in einem mehrheitlich hinduistischen Land, nicht mehr sicher leben zu können.
Die Briten reagierten und entschieden das Land anhand religiöser Mehrheiten zu teilen. Mehrheitlich von Muslimen besiedelte Regionen (diese lagen vor allem im Westen und im Osten des Subkontinents) sollten zu Pakistan werden, mehrheitlich von Hindus und Sikhs besiedelte Regionen sollten Indien bleiben. Die halb-selbstständigen Princely States durften selbst entscheiden welchem Land sie beitreten wollten. Selbständigkeit wurde kategorisch ausgeschlossen, da alle Seiten Angst vor einer Balkanisierung des Subkontinents hatten.
Die Konsequenz waren zwei Staaten die sich im Grunde genommen vom Tag ihres Entstehens feindlich gegenüber standen, da dieser Entstehungsprozess, weder transparent noch unumstritten war.
Die Provinzen Punjab und Bengalen wurden geteilt, der finale Grenzverlauf wurde zum Teil erst nach der formalen Unabhängigkeit bekannt gegeben und sorgte für Massenflucht von Menschen beider Religionsgemeinschaften die sich plötzlich auf der “falschen Seite” befanden. Schätzungsweise 10-12 Millionen Menschen wurden auf diese Weise zu Flüchtlingen.
Pakistan bestand nun aus zwei Teilen, getrennt durch Indien. Ostpakistan trennt sich 1971 nach einem blutigen Befreiungskampf schließlich ab und wurde zu Bangladesh. Ein weiterer Beweis dafür, dass Religionsangehörigkeit nicht ausreicht um ein Nationalgefühl entstehen zu lassen und das im Umkehrschluss, Religion eine schlechte Basis für einen Staat ist.
Die meisten kleineren Princely States entschieden sich schnell für eine Seite. Die Entscheidung traf meistens der Herrscher.
Zwei der Königreiche, die beiden Größten, waren Kashmir und Hyderabad. Beide wollten den Briten die Unabhängigkeit abtrotzen. Der Nizam von Hyderabad war ein muslimischer Herrscher der mehrheitlich hinduistische Untertanen hatte. Der Nizam (Herrscher) zögerte eine Entscheidung immer weiter heraus und versuchte auf die indische Regierung Druck aus zu üben um unabhängig zu bleiben. Pakistan beitreten, wollte er nicht, aber er benutzte diese Option als Druckmittel. Hyderabad lag schließlich im Herzen Indiens und wäre er Pakistan beigetreten hätte das Indien wohl destabilisiert. Nach mehr als einem Jahr Verhandlungen, verlor Indien die Geduld und schickte seine Armee um Hyderabad einzunehmen. Die Operation Polo war erfolgreich und traf auf kaum nennenswerten Widerstand, zu gross war der Unmut der Bevölkerung mit ihrem Herrscher.
In Kaschmir waren die Verhältnisse umgekehrt. Der Maharadscha von Kaschmir, Hari Singh, war Hindu die Mehrheit seiner Untertanen waren muslimisch.
Auch Hari Singh liebäugelte mit der Unabhängigkeit und wollte keinem der beiden Länder beitreten. Kaschmir, so meinte er, sei groß genug um selbstständig zu werden. Seine Lage zwischen Indien und Pakistan, machte den Beitritt zu beiden Staaten möglich. Die Parteien in Kaschmir waren gespalten, genauso wie die Bevölkerung. Die Minderheiten der Hindus, Sikhs und Buddhisten wollten lieber zu Indien gehören, genau so wie ca. die Hälfte der Muslime, vor allem im Kaschmir Tal, die eher sekulär geprägt waren und denen die Idee eines muslimischen Staates suspekt war.
Nachdem klar war, dass der Maharadscha sich eher nicht für Pakistan entscheiden würde, schickte die pakistanische Regierung paramilitärische Truppen nach Kaschmir um das Fürstentum gewaltsam zu annektieren. Sie schickten Pachtungen und Stammesangehörige, keine regulären Truppen, um es aussehen zu lassen, als würden die Kaschmiris selber gegen ihren Maharadscha rebellieren.
Maharadscha Hari Singh bekam Panik und bat Indien um Hilfe. Indien versprach die indische Armee zu schicken, wenn Kaschmir Teil Indiens werden würde. So kam es dann, der Maharadscha unterzeichnete den Beitrittsvertrag und der erste Krieg zwischen Indien und Pakistan begann nur um wenige Tage später mit einem Waffenstillstand durch UN Vermittlung zu enden. Kaschmir wurde de-facto geteilt. Der nördliche Teil der unter der Kontrolle Pakistans stand wurde zum pakistanischen Teil Kaschmirs der Süden wurde zum indischen Bundesstaat Jammu&Kashmir.
Die UN schlug ein Referendum vor um zu entscheiden, ob die Kaschmiris zu Indien oder Pakistan gehören wollten. Bis zum Referendum sollte der Status-quo erhalten bleiben.
Das Referendum fand bis heute nicht statt. Zuerst stellte sich Pakistan quer und wollte dass die indischen Truppen sich zurückzogen und Kaschmir unter UN-Verwaltung gestellt werden sollte. Das wollte Indien nicht, da die Inder der Beziehung zwischen Pakistan und den USA misstrauisch gegenüberstanden und das Gefühl hatten, im Sicherheitsrat ungerecht behandelt zu werden.
Maharadscha Hari Singh hatte nun für sein Land noch einige Sonderrechte herausschlagen können und zwar das Recht auf eine eigene Verfassung (die indische Verfassung galt in Kaschmir nicht), das Recht auf eine eigene Flagge und das Recht auf eigene Gesetze mit Ausnahme von den Bereichen Kommunikation, Außenpolitik und Sicherheit. Die Regierung Kaschmirs durfte außerdem entscheiden, wer zukünftig als Kaschmiri galt und damit alleine Eigentum und Besitz in Kashmir haben durfte. Diese Sonderrechte sollten temporär sein und den Kaschmiris den Beitritt zur Indischen Union erleichtern. Kaschmir war ja der einzige Bundesstaat mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit und dadurch sollte garantiert werden, dass es nicht zu einer Masseneinwanderung von Hindus kommen sollte, in deren Zuge die kaschmirische Identität verloren ging.
Allerdings missbrauchten spätere Regierungen ihr Privileg um vor Terror geflohene Hindus auszubürgern und um Töchter aus kaschmierischen Familien die Nicht-Kashmiris heirateten, das Recht auf ihre Erbe zu verwehren.
Gleichzeitig profitierten von den Privilegien vor allem einige wenige mächtige Familien aus dem Kaschmir Tal um Srinagar herum. Der mehrheitlich hinduistische Teil Jammu und der mehrheitlich buddhistische Teil Ladakh hatten politisch kaum etwas zu sagen.
1965 führten Pakistan und Indien erneut Krieg um Kaschmir. Pakistan fühlte sich dank amerikanischer Waffenlieferungen stark genug eine erneute Annektierung Kaschmirs zu versuchen, scheiterte aber am Ende. 1966 unterzeichneten beide Seiten in Tashkent ein Abkommen welches den Status-Quo akzeptierte. 1972 schließlich unterzeichneten Indira Gandhi und Zulflikar Ali Bhutto (der pakistanische Premierminister) das Shimla-Abkommen in welchem sie sich einigten, Kaschmir als eine reine bilaterale Angelegenheit zu behandeln.
In den 1980er Jahren kam es zu einer Reihe gewaltsamen Aufständen der JKLF (Jammu Kashmir Liberation Front), die gegen die Korruption der politischen Eliten in Kaschmir protestierten und ein unabhängiges Kaschmir forderten. Pakistanische Terroristen und Geheimdienstler organisierten Waffen und trainierten die Aufständischen.
Anfang der 1990er flohen tausende Hindus (die sogenannten Kaschmiri Pandits) aus Kaschmir vor Terror und Gewalt die gezielt gegen sie gerichtet war. Hindus sollten in einem unabhängigen oder zu Pakistan gehörenden Kaschmir, nicht geduldet werden.
Die indische Regierung antwortete mit Gegengewalt und erließ dass Armed Forces Special Power Gesetz, welches den Streitkräften und Paramilitärs bei der Terror-Bekämpfung freie Hand ließ.
Seitdem kommt Kaschmir nicht wirklich zu Ruhe. Der Tourismus ist zum Erliegen gekommen und es gibt nur wenige andere Einnahmequellen. Auch wenn Kaschmir weniger Armut als andere indische Bundesstaaten hat, stagniert die wirtschaftliche Entwicklung und das Pro-Kopfeinkommen seit vielen Jahren. Junge Kaschmiris haben oft keinerlei Aussichten auf einen guten Job oder eine gute Zukunft. Das treibt sie immer öfter in die Arme von Extremisten.
Die Situation in Kaschmir dreht sich seit Jahren im Kreis. Gewalt schürt Gegengewalt und obwohl in Phasen der Entspannung, wieder einige Touristen nach Kaschmir reisen, bleiben die Zukunftsaussichten düster. Die Verfassung Kaschmirs machen Investitionen schwierig bis unmöglich, die politische Unsicherheit schreckt potentielle Investoren weiter ab. Die Sicherheitslage an der Grenze zu Pakistan bleibt schlecht. 1999 kommt es zum Kargil Krieg, 2019 zum Terroranschlag von Pulwana.
Viele indische Premierminister haben versucht die Lage in Kaschmir zu verbessern, alle scheiterten bisher. Auch weil sie sich nicht an den Artikel 370 des indischen Grundgesetzes trauten, der Kaschmir seinen speziellen Status, bis heute zusichert.
Narendra Modi hat bereits im Wahlkampf 2019 offen erklärt dass er Artikel 370 abschaffen und aus Kaschmir einen ganz normalen indischen Bundesstaat machen möchte. Das ist auch eines der drei erklärten Ziele es RSS (einer hindu-nationalistschen Organisation die Indien zu einem Hindu Staat machen will. Die anderen beiden Ziele sind ein einziges allgemein gültiges bürgerliches Gesetzbuch und die Errichtung eines Ram-Tempels in Ayodhya).
Er hofft, dass er so den gordischen Knoten Kaschmir zerschlagen kann und langfristig, die bereits so lange vorherrschenden Probleme Kaschmirs lösen kann.
Ob dass gelingen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht, nur wenn die Regierung ihr Versprechen einer wirtschaftlichen Entwicklung Kaschmirs wahr machen kann, wird Kaschmir zu Ruhe kommen könnten. Nur weil Nicht-Kaschmiris jetzt Land in Kaschmir erwerben können, heißt das nicht, dass über Nacht, nun die großen Investitionen kommen werden. Die politische Situation ist nach wie vor angespannt und viele Kaschmiris werden den Verlust ihres politischen Sonderstatus nicht einfach so hinnehmen. Das Verhältnis zwischen ihnen und der indischen Regierung war vorher schon nicht das Beste, viele Kaschmiris fühlen sich von Indien gegängelt und verübeln der Armee ihre harte Hand im Kampf gegen Terror.
Narendra Modi wurde bereits zwei Mal gewählt, weil man ihm zutraut, Indien wirtschaftlich voran zu bringen und damit Arbeitsplätze zu schaffen und den Menschen einen bescheidenen Wohlstand. Wenn Kaschmir ihm einen Vertrauensvorschluss gibt und dieser ihn nutzen kann. Dann könnte seine Rechnung, das Kaschmir-Problem zu lösen, mittelfristig aufgehen. Denn nur wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand wird die Menschen überzeugen, Gewalt aufzugeben und sich als gleichberechtigte Bürger Indiens zu sehen.
Gleichzeitig muss man abwarten wie Pakistan reagieren wird. Leider fördert der pakistanische Geheimdienst seit der Gründung beider Staaten, den islamischen Terrorismus und schickt Terroristen nach Indien mit dem Ziel Indien zu destabilisieren. Vor allem nachdem es drei Kriege gegen Indien verloren hat, ist Pakistan zu der Erkenntnis gekommen, gegen Indien nur mit der sogenannten asymmetrischen Kriegsführung, punkten zu können. Pakistan hat bereits lauthals gegen die indische Abschaffung des Sonderstatus für Kaschmir protestiert. Imran Khan der pakistanische Premierminister, versucht die Weltöffentlichkeit mit in den Kaschmir-Konflikt hinein zu ziehen, weil er hofft, dass die USA und China auf Seite Pakistans stehen. Die USA braucht Pakistan in den Verhandlungen mit den Taliban in Afghanistan und China ist seit vielen Jahren ein treuer Verbündeter. Bislang hält man sich in der Welt jedoch zurück und ist gewillt, den Schritt Indiens, als innere Angelegenheit eines souveränen Staates zu sehen. Immerhin hat auch Pakistan bereits Gebiete aus Kaschmir politisch herausgelöst und zu eigenständigen Provinzen gemacht. Indien hatte in weiser Voraussicht bereits die Botschafter einiger Länder von dem bevorstehenden Schritt, informiert. Dadurch fällt das Echo auf Pakistans schrillen Protest eher verhalten aus. Auch wenn die Tatsache, dass sich hier zwei Atommächte gegenüberstehen, natürlich Besorgnis auslöst.
Vielleicht braucht es erst einen Hindu-nationalistischen Premierminister um die religions-geprägten Probleme Indiens zu lösen und aus Indien ein normales Land zu machen, welches unverkrampft mit seinen Minderheiten umgehen kann und am Ende vielleicht sogar seinen Frieden mit Pakistan machen wird.