„Indians drive with an ambivalent extempore gusto, unencumbered by the handicap of rules, training or insurance, but bolstered by a startling belief in reincarnation!“
A.A. Gill (late columunist and author)
„Inder fahren Auto mit ambivalentem, unvorbereitetem Enthusiasmus, unbelastet von Regeln, Training oder Versicherungen, aber gestärkt durch einen verblüffenden Glauben in Reinkarnation.“
Das ist ein passendes Zitat um einen Beitrag über Autofahren in Indien zu beginnen. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob die indischen Autofahrer die besten oder die schlimmsten Fahrer der Welt sind.
Sie haben definitiv ein gutes Gefühl dafür, wo ihr Auto beginnt und wo es endet, denn sie quetschen sich durch die engsten Lücken im Verkehr, vor allem überall dort, wo ein deutscher Autofahrer, nie durchfahren würde. Sie ignorieren allerdings auch jegliche Verkehrsregeln und fahren wie und wo es ihnen passt. In so fern, bin ich noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen.
Ich fahre in Indien seit knapp 10 Jahren Auto. Die ersten Jahre, habe ich mich dass nicht getraut, da der Verkehr für Europäer wirklich extrem chaotisch ist. Nicht nur, dass viele Autos und Zweiräder auf den Straßen unterwegs sind, sie teilen sich den Raum auch mit Tieren aller Art, Handkarren und Fußgängern die im seltensten Fall einen Bürgersteig zur Verfügung haben und wenn doch, ist dieser meistens durch fliegende Händler blockiert.
Omnipräsent sind natürlich die berühmten Kühe. Vor allem während des Monsuns, stehen und liegen sie präferiert auf Asphalt, also auf der Straße und zwar meistens in Gruppen. Der Verkehr fließt dann um sie herum. Auch die Straßenhunde wuseln gerne mittendurch. Im Gegensatz zu den Kühen, werden sie im Zweifel überfahren, in so fern sind sie normalerweise vorsichtiger und machen sich nicht ganz so breit, trotz allem, muss man immer damit rechnen, dass plötzlich ein Hund auf die Straße springt.
Im ländlichen Bereich kommen dann noch die Ziegen- und Wasserbüffelherden dazu, die morgens vom Stall auf die Weide und abends wieder zurück getrieben werden. Vor allem Wasserbüffel breiten sich gerne über die volle Fahrbahnbreite aus und weichen auch nach mehrmaligem Hupen keinen Zentimeter. Man muss sie schon leicht anstupsen, damit sie sich bequemen Platz zu machen.
Gelegentlich begegnet man auch altmodischen Ochsenkarren, die bevorzugt nachts als Geisterfahrer unterwegs sind. Unbeleuchtet versteht sich.
In so fern kein Wunder, dass die meisten Inder ungern nachts Auto fahren, vor allem nicht über Land.
In Indien herrscht Linksverkehr, ein Erbe der britischen Kolonisation, zumindest theoretisch. Praktisch fährt jeder da wo Platz ist. Auf zwei-spurigen Straßen in Vierer-Reihen um auch noch die letzten Zentimeter auszunutzen. In Kreiseln durchaus auch schon mal in die Gegenrichtung, wenn man dadurch 20 Meter Strecke sparen kann und Überholen kann man im Zweifelsfall auch durchaus links.
Wenn ich über die Autobahn (ich mag dieses Wort für die indischen Highways fast gar nicht benutzen) fahre, komme ich mir oft wie ein Skifahrer im Riesen-Slalom vor. Am ersten LKW fahre ich rechts vorbei, weil dieser wie eigentlich gedacht, als langsames Fahrzeug, die linke Spur benutzt. Am nächsten muss ich links vorbei, weil dieser konsequent und unbeirrt, auf der rechten, der Überholspur fährt. Und so geht das die ganze Fahrt über. Manche Leute fahren auch in der Mitte. Denn dort gibt es die wenigsten Löcher. Und von denen gibt es mindestens so viele wie es Kühe gibt.
Der normale indische Straßenbenutzer ist von Haus aus nicht gerade höflich. Er hält dort wo er will und macht im seltensten Fall Platz wenn er im Weg steht. Sollen die Anderen doch um ihn herum fahren, er hält genau dort wo er halten will, komme was wolle. Meistens direkt vor einem Geschäft wo er einkaufen möchte. Es stört ihn auch nicht, wenn er mehrere Parkplätze in Anspruch nimmt, zumindest wenn diese nicht eingezeichnet sind. Dann vielleicht, sonst ist es ihm egal. Und wenn er dort nicht halten darf, wird er es trotzdem tun um seine Frau und die Einkäufe einzuladen, was natürlich schon mal dauern kann und im Zweifelsfalle, den gesamten Verkehr in der Straße lahm legt.
Ganz besonders nervig sind (Schul-)Busse oder Rikschas die Passagiere ein- und aussteigen lassen. Sie halten immer an den engsten Stellen, vor oder hinter Kreuzungen oder so dass man meinen könnte, sie stören den Verkehrsfluss mit böser Absicht.
Wenn man sich mühselig an ihnen vorbeiquetscht, oft so knapp, dass nur noch ein Fingerbreit Platz zwischen ihrem und meinem Fahrzeug bleibt, dann scheinen sie das noch nicht mal zu merken. Es stört sie auch nicht.
Allerdings muss gesagt werden, dass sich auch in keinem anderen Land so viele Leute finden, die einen freudig an Hindernissen vorbei oder durchwinken. Freudig lächelnd stellen sie sicher, dass man ohne Kratzer oder Delle, durch alle Engstellen durchkommt. Gibt es einen Stau, so stellen sie sich schon mal hin und versuchen den Verkehr zu dirigieren, damit er abfließen kann. Und mit der Zeit stellt man verwundert fest, durch welche engen Stellen man sein Auto durchaus unbeschadet manövrieren kann. Da verlässt man durchaus seine deutsche Komfortzone, aber man wächst ja bekanntlich mit der Herausforderung.
Eine weitere Eigenart des indischen Verkehrs ist das Hupen. Ein Auto kann ohne Scheibenwischer fahren, auch die Frontscheibe ist nicht unbedingt von Nöten, ja sogar auf die Bremse kann im Notfall verzichtet werden, nie jedoch auf die Hupe. Die Hupe bedeutet für den indischen Autofahrer Kommunikation mit den übrigen Verkehrsteilnehmern. Mit der Hupe kündigt er das Überholmanöver an, drückt seinen Unmut über den aktuellen Verkehrszustand an oder verscheucht ein langsameren Autofahrer von der Überholspur (was bei einem LKW nicht unbedingt funktioniert).
Beliebt ist auch die Kommunikation mit langsameren, größeren Verkehrsteilnehmern, die ein Autofahrer auf einer nicht einzusehenden Fahrbahn überholen möchte. Dazu fährt er etwas dichter auf und hupt 1-2 Mal. Der LKW-Fahrer, über seine Intension auf diese Weise informiert, hält dann seine Hand aus dem Fenster und winkt bei freier Fahrt, den Autofahrer an sich vorbei, oder bedeutet ihm bei Gegenverkehr zu warten. Eine faszinierende Form der non-verbalen Kommunikation im Straßenverkehr.
Indien ist übrigens zusammen mit Deutschland eines der wenigen Länder, in denen es keine allgemeine Geschwindigkeitbegrenzung gibt. Die braucht es auch nicht, denn der allgemein schlechte Zustand der Straßen begrenzt die maximale Geschwindigkeit sowieso viel besser, als jede allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung es tun würde. Inder sind tief in ihrem Herzen nämlich Anarchisten. Sie sind der festen Überzeugung, dass Regeln da sind um gebrochen zu werden. In so fern hält sich eh keiner an Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die wenigen die es gibt, sind eh meistens lächerlich. 30 km/h auf einer 4-spurigen Hauptverkehrsader durch Udaipur. Die einzige Geschwindigkeitsbegrenzung die auch tatsächlich eingehalten wird, ist die 100km/h auf dem Yamuna-Expressway. Aber dort wird auch rigoros kontrolliert und bei Missachtung folgt die Strafe auf dem Fuß. Das ist die einzige Methode um Inder (und vermutlich die meisten anderen Menschen auch), dazu zu bringen, Verkehrsregeln auch wirklich einzuhalten. Das gleiche gilt für Helmpflicht für Motorradfahrer oder Anschnallpflicht für Autofahrer. Wissen die Leute, dass kontrolliert wird, verhalten sie sich regelkonform. Sonst ist es ihnen egal.
Was ich in Indien sehr angenehm finde ist die Tatsache, dass es keinen Schilderwald gibt. Hin und wieder gibt es mal ein Schild zur Höchstgeschwindigkeit (was generell ignoriert wird) und im Gebirge schon mal das Schild welches eine gefährliche Kurve oder einen Steinschlag anzeigt. Das sind wichtige Informationen, die auch sinnvoll sind, ansonsten, findet man kaum Verkehrsschilder. Die Leute würden vermutlich die meisten ohnehin ignorieren, da kann man sich den Aufwand auch schenken, hat sich vermutlich mal jemand gedacht.
Und jetzt hat die Regierung ein neues Gesetz beschlossen welches zu mehr Sicherheit auf indischen Straßen führen soll. Dazu mehr im nächsten Blog Eintrag.